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Neuanfänge: Über Türen, die sich öffnen und schließen


Eine offene Tür nach draußen
Foto Jan Tinneberg auf Unsplash


Manche Neuanfänge sind ersehnt, manche gefürchtet. Ich wollte vor etwa 15 Jahren einen Neuanfang.

Damals fuhr ich vom Unterricht mit dem Auto nach Hause. Es war Mittag und ich hatte noch etwas Zeit, bis meine Kinder von der Schule kamen. Die Sonne schien. Es war ein guter Schultag gewesen. Ich war fröhlich und dankte Gott für diesen Vormittag. Ich war gerne Lehrerin und es war einer dieser Tage, an denen es richtig schön ist, Lehrerin zu sein: „Danke, Jesus. Das war ein guter Tag! Danke für deine Gegenwart in der Schule. Danke! Ich bin eine gute Lehrerin.“ Während ich so betete, fuhr ich an einer Kirche vorbei. Ich sah Kreuz auf dem Turm und spontan, und doch nicht völlig überraschend, hörte ich mich beten: „Und ich wäre auch eine gute Pastorin geworden.“


Leidenschaft für Gemeinde


Seit meiner Kindheit, spürte ich die Berufung, in die Mission zu gehen. Nachdem ich inzwischen Mutter von zwei Kindern und mit einem Mann verheiratet war, für den „Mission“ keine Option war, hatte ich das Thema aber inzwischen im Frieden mit Jesus und mir abgeschlossen. Doch meine Leidenschaft für Gemeinde und meine Gabe zu lehren und predigen waren natürlich noch da. Nur dass ich gerade in einer Gemeinde war, in der Frauen nicht leiten und lehren durften.

Dieser Seufzer aus der Tiefe meiner Seele war die in meinem Inneren eingesperrte Leidenschaft, die immer noch stark und lebendig war und eine Möglichkeit nach Entfaltung suchte. „Ich wäre auch eine gute Pastorin geworden.“

Dieses Gebet wurde zu einem kurzen Dialog. Ich hörte Jesu antworten: „Das wollte ich ja. Aber du hast einen anderen Weg gewählt.“ Hier sprach keine vorwurfsvolle Stimme, sondern ein liebender Freund, der mir mit diesem Satz eine Tür aufstieß und einen Teppich ausrollte, damit ich weiter schaue als nur bis vor meine Füße. Damit ich über meine gegenwärtige Situation hinaus denken und sehen kann. Meine Gedanken fingen an zu wandern: Könnte ich nochmal von Neuem anfangen? Könnte mein Leben anders aussehen? Ich mochte meine Gemeinde, aber ich wusste, ich müsste sie verlassen, wenn ich als Frau lehren und leiten wollte. Bevor ich zu Hause ankam machte ich mit Gott folgendes aus: „Ich kümmere mich um ein Theologiestudium, das ich in mein Leben als berufstätige Mutter integrieren kann. Und du kümmerst dich um eine Gemeinde, in der ich meine Gaben entwickeln, lernen und einbringen kann.“


Neustart in China


Ich ahnte nicht, dass diese Gemeinde 8000 km entfernt sein würde. Jedenfalls kam einige Wochen darauf mein Mann von der Arbeit nach Hause und fragte mich, ob ich bereit wäre, mit ihm nach China zu gehen. Seine Firma wolle ihn für zwei bis drei Jahre dorthin senden. Mir war sofort klar: Das war die Antwort auf mein Gebet! Und so kam es dann auch. Etwa 18 Monate später erreichten wir als Familie unser neues Zuhause und aus den zwei Jahren wurden fünf. Wir lebten in Hangzhou, etwa 200 km südlich von Shanghai – also aus chinesischer Sicht fast in direkter Nachbarschaft.

 

Alles war dort anders. Die Entfernungen groß, die Stadt riesig. Immer umgeben von Menschenmengen, alles ist lauter, voller, greller und scheinbar chaotischer. Anfangs überwog noch der Glanz des Exotischen: Das Essen, die Architektur, die Kultur. Wir hatten auch bei allen Angelegenheiten die Unterstützung von der Firma, was Ämter, Versicherungen, Führerschein usw. betraf. Aber nach etwa acht Wochen ließ die innere Bereitschaft, Fremdes neugierig und offen zu betrachten, nach. Das Ich-bin-im-Urlaub-Lebensgefühl verging und ich realisierte, dass das nun mein Alltag sein würde. Nicht die Umgebung, nicht das Land würde "das Fremde" sein, sondern ich bin die Fremde. Ich bin diejenige, die sich hier komisch verhält. Die das Falsche sagt. Die auffällt. Die nicht versteht. Die keine Ahnung hat. Die seltsame Entscheidungen trifft, weil man Situationen wie „zuhause“ in Deutschland lösen will. Und die als Ausländerin diskriminiert wird.


Dazu die chronische Anspannung: Hat der Taxifahrer verstanden, wohin ich will? Und kann ich ihm vertrauen? Bin ich im richtigen Bus? Was sagte die Verkäuferin zu mir? Wie soll ich dem Frisör klar machen, was ich will? Wie bestelle ich den Kanister Trinkwasser nach Hause? Die einfachsten Alltagsaufgaben waren mit Stress verbunden, denn die Erfahrungen von gestern projizieren die inneren Ängste auf die Vorhaben von morgen. Klappt es oder nicht? Und wenn nicht – was mache ich und wer kann mir helfen.


Gemeindeleben ganz anders


Und dann die Gemeinde. In Hangzhou gab es eine internationale Gemeinde. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber sicher nicht das, was tatsächlich auf mich zukam. Der Gottesdienst sollte um 11 Uhr beginnen. Wir Deutsche waren 10 Minuten früher da – zu diesem Zeitpunkt nahezu die einzigen Besucher. Die Band baute gerade auf und begann zu proben. Der Gottesdienst begann, als die Band endlich so weit war. Ich war überrascht von den vielen anwesenden Afrikanern. Einer von ihnen predigte – laut, lebhaft und der afrikanische Akzent war für mich kaum zu verstehen. Alles wirkte chaotisch und improvisiert. Wir saßen auf harten Holzbänken und es war heiß in der jetzt vollbesetzten Kirche. Kulturschock!


Überfordert von dieser Situation seufzte ich: „Jesus, ist das jetzt wirklich unsere zukünftige Gemeinde?“ Aber dann war da wieder diese leise, aber sehr deutliche Stimme in meinem Inneren: „Mir gefällt’s!“ Augenblicklich löste sich etwas in mir. Dieser Satz half mir, diese und zukünftige Situationen mit anderen Augen zu betrachten: Wenn Jesus hier ist – dann will ich auch hier sein. Wenn es Jesus gefällt – dann soll es mir auch gefallen. Ich konnte nun Menschen sehen und kennenlernen, die begeistert von Gott waren. Die einen großen lebendigen Glauben hatten. Die uns herzlich aufnahmen. Eine fröhliche, hilfsbereite Gemeinschaft. Dieses Wort von Jesus half mir, meine eigenen Vorstellungen von „wie muss ein Gottesdienst sein“ loszulassen. Neues zu umarmen. Dieses Wort machte mir Mut, mich anzupassen.


Wachsen und lernen


Und so wurde ich Teil einer Gemeinde, in der ich wachsen und lernen durfte. Meine allererste Predigt hielt ich dort, mit meinem noch unvollkommenen Englisch. Ich wurde gefördert und freigesetzt. Ich entdeckte und entwickelte meine von Gott gegebenen Gaben. Ich fand Vorbilder und Mentorinnen. Meine Gemeinde in China und ich wurden uns gegenseitig zum Segen.

 

Im dritten Jahr hatte ich endlich das Gefühl, in China zu Hause zu sein. Mein Chinesisch war nun gut genug für Alltagssituationen und mein Englisch inzwischen fließend. Ich genoss es, in einer internationalen Community zu sein, sowohl in der Gemeinde als auch durch die Freundschaften, die über die internationale Schule meiner Kinder entstanden waren. Ich studierte Theologie und war in Leitungsverantwortung der Gemeinde. Wir hatten ein Hausmädchen und einen Fahrer. Und Hangzhou ist eine wunderschöne Stadt mit einem See und viel Grün. Rückblickend auf diese Jahre bin ich immer noch sehr dankbar für diese wirklich gute Zeit in meinem Leben. Trotz allen Herausforderungen, die natürlich nicht aufhörten.


Verändert zurück


Nach fünf Jahren kehrten wir wieder nach Deutschland zurück. In die gleiche Stadt, in das gleiche Haus. Aber alles war anders als früher. Zwar hatte sich München nicht verändert, doch wir waren nicht mehr die gleichen. Vieles von dem, was wir vor China hier taten und mochten, und vor allem wie wir es damals taten, funktionierte nach der Zeit in China nicht mehr. Unsere Familienstruktur war anders: Die Kinder waren größer, der Älteste begann ein Studium in einer anderen Stadt. Das Lieblingsrestaurant gefiel uns nicht mehr. Die alte Gemeinde passte nicht mehr. Damalige Freunde sind umgezogen oder Beziehungen haben sich über diese Zeit nicht aufrechterhalten können.

 

Wir kamen zurück in unser altes Zuhause und mussten ganz neu anfangen. Das war ein Kulturschock der anderen Art, auf den uns niemand vorbereitet hatte. Aber auch diesmal habe ich Gottes Führung in all diesem Durcheinander erlebt. Alles fügte sich irgendwie wundersam. Gott schickte uns die richtigen Menschen über den Weg. Wir fanden bald eine tolle Gemeinde, in der ich als Frau mit meinen Gaben mitarbeiten durfte. Neue Freundschaften entstanden.


Zwischenstationen


Nachdem ich meine Masterarbeit geschrieben und mein Studium abgeschlossen hatte, gab ich meinen Lehrerberuf auf und arbeitete in einem Nachbarschaftstreff mit einem Gemeindegründungsprojekt. Gott setzte unterwegs einfach alles um, was er mir als Berufung und Traum in mein Herz gegeben hatte, nämlich Gemeindearbeit und Gemeindegründung. Und mich in China noch fragend und zweifelnd, wie das alles zurück in München werden würde, hatte ich hier nun den Eindruck, als würde Gott mir ein Silbertablett mit allen Gebetserhörungen wie ein Geschenk präsentieren und sagen: „Tata! Ich habe schon alles vorbereitet!“

 

Das ist jetzt fast zehn Jahre her. Der Weg war dort noch lange nicht zu Ende. Es gab ein paar Umwege. Und er war oft steinig und steil. Auch mit schwierigen Erfahrungen und eigenem Scheitern verbunden. Aber genauso mit Gottes intensiver Zuwendung zu mir und seiner Führung. Mit wertvollen Erlebnissen und viel Schönem.

Doch obwohl ich erlebte, dass Gott immer eine neue Türe öffnete, wenn sich eine andere schloss, blieben diese leisen Stimmen der Entmutigung: Glaubte ich wirklich daran, dass ich irgendwann als Pastorin arbeiten würde? Oder lief ich nur einem eingebildeten Ziel hinterher? Oft fragte ich mich, was Gottes Plan für mein Leben überhaupt sei. War es wirklich richtig, dass ich meinen Lehrerberuf aufgegeben hatte?


„Geh ruhig! Ich bin bei dir!“


Und nun öffnete Gott ganz unerwartet eine Tür, von der ich nicht einmal wusste, dass sie existierte. Neuanfang: Seit ein paar Wochen arbeite als Gemeindereferentin mit den Aufgaben einer Pastorin in einer Baptistengemeinde in meinem Stadtteil.

 

Seit diesem Erlebnis auf der Fahrt von der Schule nach Hause im Auto sind nun 15 Jahre vergangen und ich erkenne, dass diese verschiedenen Stationen wie Puzzleteile sind, die plötzlich ihren richtigen Platz finden und ein Bild ergeben. Ein Bild, dass ich nur erahnte, das Gott aber stets vor Augen hatte.

 

Mit neuen Aufgaben kommen immer neue Herausforderungen. Manche Abschiede sind schwer und Neuanfänge immer auch anstrengend.

Aber es gab auf dem Weg so viel Schönes und Wertvolles. Schätze, die ich aus einem Lebensabschnitt mit in den nächsten nehme und die mich reich und froh machen.

 

Gott ist ein Gott der Neuanfänge.

Ganz plötzlich öffnet er eine Tür und flüstert dann: „Geh ruhig! Ich bin bei dir!“.

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