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Die Geschichte von der Versöhnung mit mir selbst

- und was das mit meinem Doppelnamen zu tun hat



Vor einigen Jahren las ich das Buch „Den Himmel gibt’s echt“. Dieses Buch berichtet von einem Jungen, der im Himmel gewesen und Jesus begegnet sei. Ich erinnere mich nicht mehr an die genauen Umstände seines Todes, noch an den weiteren Inhalt des Buches, aber eine Episode seines Himmelaufenthaltes habe ich nicht vergessen. Er war dort in einer Sportarena. In diesem Stadion saßen auf den Zuschauerrängen alle Frauen und Kinder, während die Männer auf dem Spielfeld zusammen mit Jesus gegen einen Drachen kämpften. Ich bin nicht sicher, ob ich diese Szene ganz korrekt in Erinnerung habe, aber an was ich mich genau erinnere, war der Schock und eine starke innere Aufgewühltheit. Und mein spontanes Gebet: „Jesus, das kann doch nicht wirklich so sein, oder? Es kann doch nicht sein, dass du mich erschaffen hast, nur damit ich auf den Rängen sitzend zusehe, wie du andere berufst, an deiner Seite für dein Reich zu kämpfen! Ich will nicht zuschauen! Ich will dort in der Arena an deiner Seite kämpfen!“ Und ich erinnere mich an diese innere göttliche Stimme, die flüsterte: „Nein, du wirst hier neben mir stehen und Kämpfen.“


In meiner Familie gibt es eine Legende um meinen Doppelnamen 'Ruth - Andrea'. Nach der Erzählung waren sich meine Eltern nicht einig, wie sie mich nennen sollten. Mein Vater wollte mir den Namen Ruth geben. Meine Mutter war für Andrea, auch deshalb, weil sie befürchtete, ich würde in dem kleinen Dorf dann nur mit dem üblichen 'Rutchen' gerufen werden. (Was ich wirklich schrecklich finde, genauso wie die Aussprache mit dem kurzen u – 'Rutt'.) Jedenfalls vermittelte mein Großvater zwischen den beiden und schlug den Kompromiss 'Ruth-Andrea' vor. So kam ich zu diesem Doppelnamen, mit dem mich meine Eltern so konsequent ansprachen, dass in meiner Kindheit und Jugendzeit alle mich unter diesem Namen kannten und insbesondere alle Erwachsene mich Ruth-Andrea nannten. Die Kurzform Ruth war zwar auch unter meinen Freunden üblich, aber nur „inoffiziell“ als Spitzname.


Ruth bedeutet "die Freundin, die Begleiterin, die Freundschaft".

Andrea hat die Bedeutung von "die Tapfere, die Mannhafte, die Tatkräftige".


Im Rückblick auf mein Leben scheinen mir beide Namen tatsächlich wie eine Beschreibung meiner Persönlichkeit und meiner Lebensgeschichte zu sein. Vermutlich trifft das mehr oder weniger auf jeden zu, aber ich bin ja beides: Ich bin die freundliche Ruth, die eher schüchterne, aber treue und stetige, die, die aushalten und ertragen kann und für andere da ist. Und ich bin die tapfere Andrea, die die manchmal vorlaut ist, die Kämpfen und Streiten kann und die gerne vorneweg geht und Dinge umsetzt. Die Andrea, von der anderen manchmal sagen, dass ich doch etwas „männliches“ an mir habe.


Als ich mit Anfang 20 heiratete, von zuhause wegzog und neue Freunde fand, geriet mein Name Andrea in Vergessenheit. Aus Ruth-Andrea wurde Ruth.

Mit dieser neuen Lebensphase kam ich auch in ein christliches Umfeld, in dem Frauen nicht leiten und lehren dürfen und die Unterordnung der Frau unter den Mann gelehrt wird. In den dreißig Jahren, die nun folgten, kannten mich alle nur unter dem Namen Ruth. Niemand wusste von der Andrea. Und ich war Ruth. Ich versuchte alles, um dem Bild zu entsprechen, das man von mir erwartete. Meine eigenen Wünsche zurückzustellen und die Bedürfnisse der anderen höher zu achten. Mich unterzuordnen. Andere leiten zu lassen und zu folgen.

Dieser Ruth - Anteil in mir durfte in diesen Jahren stark werden, wachsen, sich heiligen, lieben lernen und erfuhr Anerkennung. Manchmal wird die Bedeutung des Namens auch „Freundin Gottes“ angegeben, was mir sehr gefällt.


Aber der Andrea - Anteil hatte in dieser Theologie keine guten Voraussetzungen zum Wachsen. Sie verkümmerte, hungerte - und war doch, trotz aller Versuche, sie wegzusperren oder sie zumindest zu ignorieren, ungezähmt und stark in mir. So stark, dass sie mich ständig in Frage stellte und für mich ein Probleme darstellte.


In dieser Zeit wuchs in mir das Lebensgefühl, eine Lebenslüge, die mich zum Teil bis heute begleitet, nämlich: Ich bin falsch, so, wie ich bin. Denn ich bin eine Frau und habe den Wunsch, das zu tun, was vermeintlich nur Männer tun dürfen: lehren und leiten, Dinge zu planen, voranzubringen und umzusetzen.


Dieses Gefühl „falsch zu sein“, zusammen mit verschiedenen anderen Umständen, führten mich in eine Lebenskrise, in der ich mich in einer Opferrolle gefangen setzte. Doch eines Tages saß ich - wieder einmal - verzweifelt auf dem Sofa zuhause in Tränen aufgelöst, mich bei Gott über meine Situation beklagend, und während ich jammerte, hörte ich plötzlich in meinem Herzen sehr deutlich Jesus zu mir sagen: „Was hast du dir eigentlich vorgestellt, als du mich damals batest, an meiner Seite in der Arena zu kämpfen? Du wusstest, dass das keine Vergnügungsreise wird! Hör auf zu heulen, steh auf und kämpfe!“


Nach diesem Erlebnis entschied ich mich, Hilfe durch Seelsorge und Coaching zu suchen. Wir verließen dieses Gemeindeumfeld und in einem langen Prozess der Heilung lernte, und lerne ich bis heute, zu akzeptieren, wer ich bin und mich so anzunehmen, wie ich bin. Ich versöhnte mich mit der tapferen Kämpferin in mir. Sie - Andrea - die so lange nicht sein durfte, die sich verstecken musste, die angeblich falsch war, so wie sie war. Die ich so lange verleugnete, und doch heimlich herbeisehnte. Und die immer wieder auf Widerstand stößt, sobald sie sichtbar wird, weil sie scheinbar für andere eine Provokation darstellt.


Dabei ist es diese Andrea in mir, die mich immer wieder rettete, indem sie immer wieder ausbrach, mich schützte, für mich tapfer kämpfte und mein Überleben sicherte. Um diesen Anteil in mir zu ehren, fing ich an, meinen Namen wieder als Doppelnamen zu schreiben. Nur traute ich mich lange nicht, den Wunsch zu äußern, mich auch so zu nennen – ich will nicht wie eine Diva erscheinen.


Bis vor ein paar Wochen - als ich eine Predigt über Hosea 11 vorbereitete und hielt. In der Beschäftigung mit diesem Text hatte ich einen dieser wunderschönen Offenbarungsmomente: ich erkannte Gottes Mutterherz. Und verstand plötzlich ganz neu: Ich, eine Frau, als eine Frau, bin Gottes Ebenbild. Gott – der sich vergleicht mit einer Löwenmutter oder mit einer Adlermutter – dieser Gott ist auch der Schöpfer der Andrea in mir. Er hat mich so gewollt. Ich darf auch tapfer und mannhaft sein. Und: ich bin richtig so, wie ich bin. Niemand wird mir das mehr absprechen.


Mir ist bewusst: Während die Ruth in mir immer gefördert wurde und in der Jesusähnlichkeit wachsen durfte, hat meine Andrea in diesem Punkt noch ziemlich Nachholbedarf. Zu oft hinterließ sie nach ihrem Kampf ein Trümmerfeld. Zu oft agierte sie aus Zorn heraus und schlug einfach um sich. Und zu oft kämpfte sie allein.


Doch sehe ich im Rückblick auf die letzten Jahre auch, wie Jesus gerade diese Andrea ermutigte, trainierte, förderte und ihr beibrachte, einen guten Kampf zu kämpfen, mit den richtigen Waffen. In Gerechtigkeit und auch mit der Fähigkeit, zurückzustehen und andere vorzulassen und mich unterzuordnen, wenn das seiner Sache besser dient. Nicht mehr ziellos drauflos zu schlagen, sondern den Anderen zu sehen, der auch sein darf. Meine notwendigen Grenzen so zu setzen, dass auch mein Gegenüber Raum zum Leben hat. Nicht mehr aus einer Notlage heraus zu agieren, sondern einer Vision folgend. Sie darf nun auch diesen Prozess der Heilung und der Heiligung durchlaufen. Ich erlebe, wie die Andrea in mir wächst und reifer wird und mir eine Freundin geworden ist.


Ruth-Andrea…ich bin beides, und vereint und gemeinsam bin ich so, wie ich bin, richtig. Ich kann tapfer kämpfen – und ich kann zurückstecken. Ich kann angreifen – und ich kann loslassen. Ich kann Widerstand leisten - und ich kann nachgeben. Ich kann aktiv Dinge angehen und umsetzen - und ich kann abgeben und andere machen lassen.


Während ich das schreibe, merke ich dankbar, dass ich inzwischen soweit mit mir und meiner Geschichte versöhnt bin, dass es mir schon wieder egal ist, ob man mich Ruth oder Ruth-Andrea nennt. Aber wenn jemand Ruth-Andrea sagt, ist es immer noch etwas Besonderes für mich.

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